Jahrestag der russischen Invasion: Geschichte einer Hochzeit und eines Krieges

Es ist ein schöner sonniger Morgen, 8.30 Uhr. Der Zeitplan des Stromversorgers besagt, dass die Straßen der Gruppe I heute von 5 Uhr bis 9 Uhr Strom haben. 9 Uhr bis 13 Uhr – kein Strom. Ich habe eine halbe Stunde, um meine Haare zu waschen und sie zu föhnen.

Es ist erst 9.05 Uhr (der Strom ist noch da!). Ich öffne die Nachrichten auf meinem Mobiltelefon und stelle fest, dass die Lage meiner Wohnung nicht so toll ist. Sie ist zu weit weg vom Lwiwer Rathaus mit seinen Lautsprechern, die den Gebäuden aus dem 19. Jahrhundert ankündigen, wenn russische Raketen auf sie zukommen.

Ich bürste mir die Haare („Eine Rakete dringt aus Richtung Belgorod in den Luftraum von Sumy ein!“) und schminke mich („Saporischschja, sofort in den Luftschutzkeller!“), nehme meine Tasche mit dem Reisepass und der Geldbörse („Rakete in Richtung Uman!“), trinke meinen Morgenkaffee („Die Rakete hat ihren Kurs geändert, sie kommt aus dem Südwesten auf Kiew zu, es wird laut sein!“) und setze mich auf den Badezimmerboden („Lwiw, eine Rakete dringt aus dem Südosten in deinen Raum ein!“), und warte.

Die Hochzeit findet in sechs Stunden statt. Als Trauzeugin nehme ich nach der Entwarnung mein Kleid und meine Schuhe, Schmerzmittel und andere nützliche Dinge für die Hochzeit und mache mich auf den Weg, um der Braut an ihrem großen Tag zu helfen.

Der Vortag

Zhenia hat geschrieben, dass sie nicht zur Hochzeit kommen wird. Eigentlich wollte sie kommen, aber sie ist Sanitäterin bei den Hospitallers, einem Freiwilligen-Sanitätsbataillon, und in der ukrainischen Armee erwarten alle einen neuen großen Angriff, Feiertage sind deshalb gestrichen. Also... 29 Gäste.

„Angriff“ ist das Wort des Tages. Oder eher für ein paar Tage. Die ...

Fonte:

https://www.tagesspiegel.de/kultur/jahrestag-der-russischen-invasion-geschichte-einer-hochzeit-und-eines-krieges-9373760.html